- am 08.09.2006
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- in der Kategorie Straßenbahn
Osterlicht zur Auferstehung für M1 – Tram hat laut Necker Feinstaubproblem
Heute Abend trafen sich die Vertreter von SPD und BVG sowie der Staatssekretärin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Verkehr, Maria Krautzberger, zu einer wahlkampfinitiierten Bürgerversammlung in der Friedenskirche in Niederschönhausen, um über die Zukunft der in Frage gestellten Straßenbahn nach Rosenthal und in die Schillerstraße zu diskutieren. Während der Debatte wurden die Wirkungen der Verkehrsmittel Straßenbahn und Bus zueinander abgewägt. Dabei stellte der anwesende Vorstand Betrieb des Verkehrsunternehmens, Thomas Necker, fest, dass der Bus in punkto Umweltschutz der Tram durch weniger Feinstaub und geringeren Lärm überlegen sei.
Die Frage, ob und wann nun tatsächlich Teilstrecken der Metrolinie 1 wirklich stillgelegt werden, beschäftigt die Bewohner Niederschönhausens und Pankows bereits seit geraumer Zeit (BahnInfo berichtete). Die Planung, den Ast nach Rosenthal nunmehr jetzt aufgeben zu wollen, war durch die Vakanz, die Friedrich-Engels-Straße neu zu gestalten, aufgekommen und erhitzt seither die Gemüter Vieler. Vor gut einer Woche hatte zu diesem Thema bereits der BUND unter Moderation des Journalisten Peter Neumann in das Pankower Rathaus geladen. Nicht anwesend war zu diesem Zeitpunkt trotz Einladung der Vorstand der Berliner Verkehrsbetriebe. Heute nun bezog auch Thomas Necker Stellung zu den erbrachten Vorwürfen und Gerüchten, wie sie jedenfalls der SPD-Kandidat Torsten Hilse nannte. Er war zusammen mit seinem Parteikollegen Torsten Schneider (SPD) vor Ort und bekräftigte seine Zustimmung zum Erhalt der Straßenbahn gegenüber den etwa einhundert erschienenen Bürgern. Zuvor hatte Pfarrer Gramse der Gemeinde am Ossietzkyplatz eine Osterkerze aufgestellt, die der Auferstehung der Straßenbahn, wie er sagte, dienen solle.
In seinen Ausführungen betonte Hilse, dass es bei der Anbindung und jeglichen tangierenden Vorhaben um 25.000 Menschen ginge, die hier lebten. Vor allem Niederschönhausen habe in den vergangenen zehn Jahren als eine der wenigen Bezirke seine Einwohnerzahl kontinuierlich verdoppelt und steigere die Quote weiter. Nachfrage und Potenzial seien seiner Meinung nach gegeben, so dass der unbedingte Erhalt der „Elektrischen“ gewolltes Ziel sei. Er selbst ließe keinen Zweifel daran, dass die Bahn bleibe, es vielmehr darum gehe, die Linien auszubauen, um die Nachfrage zu erhöhen. Ihn hätten, so Hilse wörtlich, die Diskussionen überrascht, zudem es seitens der BVG und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Verkehr immer geheißen habe, Stilllegungen nicht vollstrecken zu wollen. Dennoch seien in der Vergangenheit die Gerüchte nicht weniger, sondern eher mehr geworden, so dass er zu dieser Veranstaltung aufgerufen habe. Konkret richtete er seine Frage und Bedingung an die zugehörige Staatssekretärin der Senatsverwaltung, Maria Krautzberger und an den Vorstand der BVG Thomas Necker.
Die Staatssekretärin gab den Hinweis, es gebe momentan keine grundlegenden Planungen zum Stilllegen von Linien bei der BVG, jedoch werde der Umbau der Friedrich-Engels-Straße derzeit geprüft. Hier stelle sich automatisch die Frage, ob und wie viel Gleise in der Zukunft benötigt würden, so dass man sich mit der Trasse nach Rosenthal konstruktiv auseinandersetze. Daher habe man neben dem Gutachten der Berliner Verkehrsbetriebe auch einen unabhängigen Sachverständigen beauftragt, die Varianten miteinander zu vergleichen. Grundlage sei hier auch die optionale Verlängerung in das Märkische Viertel, so die Staatssekretärin. Wenn man nun das Gleis gänzlich schließe, verbaue man sich die Machbarkeit vollkommen.
Auch wenn Krautzbergers Äußerungen den Bürgern suggerierten, dass man bereits aktiv an einer Planung nach Wittenau interessiert sei, muß man jene Vermutung durch ein anschließendes Gespräch mit ihr relativieren. Zwar hob sie im Grundsatz die Notwendigkeit einer Straßenbahnverlängerung hervor, gab allerdings auch zu, dass das von ihr benannte Gutachten sich ausschließlich auf die Straßenbaumaßnahme beziehe und es kein Zeitfenster für eine Realisierung der Tram gen Märkisches Viertel gebe.
Weiter fuhr die Staatssekretärin fort, und teilte im Ergebnis damit die Aussagen Hilses und Schneiders, dass es innerhalb des Abgeordnetenhauses ein deutliches Pro zur Straßenbahn gebe.
Vorausgegangen war ein Antrag der CDU zum Gesamterhalt des heutigen Netzes, den die SPD-Fraktion mit Bezug auf Wettbewerb geändert hatte. Neben dem einstimmig durch das Abgeordnetenhaus beschlossenen Antrag zum dauerhaften Betrieb der so genannten Uferbahn, hatte die Union letzte Woche einen weiteren erbracht, der im Falle von entstehenden Differenzen zwischen Senat und BVG zum Fahren aller Linien der Tram, mehr Wettbewerb gefordert hatte und parallel die Prämisse forderte, dieses zum Bestandteil der Verhandlungen des künftigen Verkehrsvertrages zu machen. Letztere Vorgaben waren durch die SPD in einer Ergänzung abgeändert und dann einstimmig beschlossen worden.
Krautzberger sagte, die Straßenbahn nicht so fahren und ausbauen zu können, wie man wolle. Auch Torsten Schneider hatte bereits vor der Diskussion gegenüber BahnInfo die Frage aufgeworfen, ob Althergebrachtes grundsätzlich zeitgemäß sei und wies darauf hin, dass man nichts versprechen könne: „Niemand kann heute sagen, was wir uns in zwanzig Jahren leisten können und werden und welche Verkehre wie abgewickelt werden. Im Moment haben wir uns zur Straßenbahn bekannt.“
Unter den Zuhörern meldete sich Ingolf Berger von der Initiative PRO TRAM zu Wort und verlangte in den besprochenen Beispielen den sofortigen Abbau des Parallelverkehrs durch Busse und die Verdichtung des Taktes. Als absurd würden ihm die nur drei Verkehre der Straßenbahn im Vergleich zu den neunen bei den Bussen erscheinen. Statt die Straßenbahn zu stärken, setze die BVG auf den Bus und habe den 107er im letzten Fahrplanwechsel sogar wieder ausgeweitet. Damit mache man die Tram systematisch kaputt und würde fatale Zeichen in der Umweltpolitik setzen. In Zeiten von Feinstaubemissionen sei seiner Meinung nach die Straßenbahn wohl das entsprechend bessere Verkehrsmittel.
Dem widersprach Thomas Necker energisch und betonte zunächst die notwendige Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Trassen. Die Straßenbahn habe einen Systemfehler, weil ihre Infrastruktur grundsätzlich teuer sei. Zwar seien die Betriebskosten im Verhältnis zum Bus annähernd gleich, die Anschaffung und Unterhaltung aber um ein Vielfaches teurer. In den konkreten Beispielen müsse man jetzt diverse Indikatoren berücksichtigen und später zu einem Ergebnis kommen. In jenem Prozess befinde sich die BVG derzeit und überprüfe laut Maßgabe des Senates den Bereich Pastor-Niemöller-Platz bis Rosenthal Nord. Seiner Meinung nach ist die M1 hier wie auch zur Schillerstraße nur zu 20% ausgelastet. 1.500 Fahrgäste pro Richtung und Stunde seien zu wenig und durch einen Bus längst leistbar. Natürlich könne und dürfe der Senat den Verkehrsbetrieben es verbieten, Strecken stillzulegen, das sei hierzulande nun einmal Recht, doch sei es seine Aufgabe und gesetzliche Pflicht mit Nachdruck auf Missstände hinzuweisen. Des Weiteren gehe es in ganz Berlin nicht darum den Nahverkehr abzuschaffen, sondern lediglich einen Verkehrsträgerwechsel durchzuführen. Ob ein Bus oder eine Straßenbahn bequemer seien, spiele dabei keine übergeordnete Rolle. Im Falle der M1 nach Rosenthal sei die Debatte erst dadurch relevant geworden, so Necker, dass die Friedrich-Engels-Straße ausgebaut werden solle. Unter normalen Rahmenbedingungen würde es derzeit um ganz andere Strecken gehen, die zur Disposition stünden. Laut des Plans wären jene Trassen erst ab 2013 in Frage zu stellen. Weil nun aber sechs Millionen eigene Gelder investiert werden müssten, sei es Aufgabe der BVG, auf die Unwirtschaftlichkeit hinzuweisen. Erst der Besteller und Eigentümer, nämlich der Senat, entscheide dann, wie viel Straßenbahn man wirklich wolle. Bei allen Linien gelte allerdings der Grundsatz, verbaute Finanzmittel erst abzuschreiben, bevor man stilllege. Necker fügte hinzu, dass man den ÖPNV in Berlin deutlich unterschätze und auch der West-Teil (bekanntlich ohne die „Elektrische“) funktioniere. Weiter wolle er der Argumentation um die Feinstaubemissionen nicht folgen.
Die Straßenbahn sei längst nicht so ökologisch wie man stets meine. So gehöre zum Umweltschutz auch die Lautstärke, welche bei der Tram um ein Beträchtliches höher sei. Im Übrigen habe gerade die Straßenbahn in den Gleisradien enorme Probleme mit Feinstaub, den sie verursache. Das Busnetz hingegen erfülle die modernsten Standards Europas und biete in neuen Fahrzeugen schon jetzt die Möglichkeit, zwei statt der in Straßenbahn drei Kinderwagen zu transportieren. Zwar wolle er den Bus nicht schönreden, sehe aber keinen erheblichen Nachteil zur Schiene, welche ihrerseits aber bei Staus Umfahrungen nicht erlaube, sondern eine Komplettsperrung zur Folge habe.
Vor allem Pankow, so das Vorstandsmitglied der Berliner Verkehrsbetriebe, habe man durch die Einführung der Metrolinien nicht im Stich gelassen und werde es auch künftig nicht tun. Man werde sich der Entwicklung fügen, ebenso, wenn über Rosenthal nach Wittenau geplant werde.
Das jedenfalls, scheinen sich die Kommunalpolitiker Pankows zwar zu wünschen, doch gilt hier gleichwohl der Sparzwang und der Hinweis des Straßenbahndirektors Klaus-Dietrich Matschkes, dass das Eisenbahnbundesamt niveaugleiche Kreuzungen von Straßenbahn und Eisenbahn heute verbietet. So bliebe wohl nur eine millionenschwere Brücke über das Gleis der NBE. Guter Wille und Worte sind eben nicht alles: Möglicherweise erklärt sich dann auch so das versteckte Kopfschütteln Thomas Neckers, nachdem Beatrice Boehlke gegenüber dem RBB-Moderator Ulli Zelle sich beruhigt gab, weil das Vorstandsmitglied der BVG ihr versichert habe, die M1 nach Rosenthal bliebe noch ein paar Jahre bestehen.
Die Wahlempfehlung des Pfarrers ist umso deutlicher:
„Wenn ich die Wahl habe, mit dem Auto, dem Bus oder der Straßenbahn zur Wahl zu fahren, dann wähle ich die Straßenbahn!“

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