- am 29.09.2024
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- in der Kategorie Straßenbahn
Urban, lang und sonst so? Neue Tram für Berlin auf der InnoTrans
Auf der diesjährigen Verkehrsmesse InnoTrans war neben Berlins Kleinprofil-U-Bahn JK auch die neueste Straßenbahn aus dem Hause BVG zu bewundern. Mit knapp 51 Metern, genauer gesagt 50,89 m, ist die zweite Generation Flexity namens Urbanliner die längste Straßenbahn Berlins und eine der längsten auf der Welt. Jedenfalls dann, wenn man Stadtbahnen wie Frankfurts U5-Triebwagen ausklammert.
Foto: Die U5-Triebwagen aus der Fahrzeugfamilie Flexity Swift können mit speziellen Mittelwagen auf durchgängig begehbare 100-Meter-Züge verlängert werden. Autor: Christian Linow
Die ebenfalls zur Flexity-Familie gehörenden Fahrzeuge sind dank spezieller Mittelwagen auf eine durchgehend begehbare, 100 Meter lange Vierfachtraktion verlängerbar. Auf ein vergleichbares Konzept setzt man auch in Mannheim mit den ForCity Smart, die es in ihrer Ausführung als so genannte „38T“ auf stattliche 60 Meter bringen und sich damit aktuell die längste meterspurige Straßenbahn der Welt nennen dürfen. Ein Maß, das auch den Berliner Urbanlinern gut zu Gesicht gestanden hätte, um ausreichend Platz auf nachfragestarken Linien wie der M4 parat zu haben. So jedoch dürfte es in den Hauptverkehrszeiten leider wieder etwas eng werden, wenn sich mehr als die vom Hersteller angegebenen 312 Fahrgäste in der Bahn befinden, von denen maximal 92 sitzen können. Die Betonung liegt auf maximal, denn bei den rechnerischen Werten wurden offensichtlich die 1,5er-Sitze hochskaliert, obgleich darauf letzten Endes nur ein Mensch Platz nehmen wird.
Es ist nicht der einzige Kritikpunkt, der einem - buchstäblich - auf den ersten Blick ins Auge fällt. Die Fahrtzielanzeige im Frontbereich ist derart weit nach hinten vom Stirnfenster abgesetzt, dass Teile der Schrift im Passepartout versinken. Außerdem wurde abermals auf eine Monochromvariante gesetzt, was spätestens dann anachronistisch und skurril anmutet, wenn man wenige Hundert Meter weiter auf dem Messegelände auf den Bonner ForCity von Skoda stößt, dessen satte und kontrastreiche Farben der Linienanzeige schon von fern klar auszumachen sind. Ohnehin würde bereits ein Blick zur U-Bahn genügen, wo farbige LED mittlerweile ebenso Standard sind.
Foto: Während Bonns ForCity aus dem Hause Skoda mit bunten Frontdisplays brilliert, setzen Alstom und BVG weiter auf eine Monochromvariante, die zu allem Unglück an der Stirn verschluckt wird und den Text je nach Blickwinkel beschneidet. Autor: Christian Linow
Der Innenraum wirkt indes geräumig, was nicht nur auf die Wagenbreite von 2,40 m zurückzuführen ist, sondern auch darauf, dass die Schrägen an den Radkästen verschwunden sind. Die hat der Hersteller jetzt flacher im Gang untergebracht, wodurch sie kaum mehr auffallen. Auffallen wiederum sollen genauso wenig die Dreikantschlösser unter den Sitzflächen, die man deswegen eigens mit schwarzen Kunststoffkappen versehen hat. Eine fragile Konstruktion, die sich kaum als praxistauglich erweisen dürfte, über die man allerdings getrost hinwegsähe, wenn man nicht den Sinn hinter den Dreikanten kennen würde. Mit ihnen nämlich lässt sich die Bestuhlung aus der Verankerung lösen, wie ein Vertreter von Alstom vor Ort erklärt. Was mutmaßlich die Arbeit für das Werkstattpersonal vereinfachen soll, kann sich vor dem Hintergrund von Vandalismus schnell rächen. Zu simpel gestaltet sich der Ausbau der Sitze für jeden Laien, der sich das notwendige Equipment kinderleicht im Baumarkt beschafft.
Sieht man von solchen Lapsus ab, ist das Fahrzeug im Großen und Ganzen recht ansprechend geworden. Man fragt sich zwar, welchen Vorteil Längssitze in einer Straßenbahn haben, da der Gang dazwischen trotzdem schmal bleibt und man auf auf dem Weg zu den Türen weiterhin über ausgestreckte Beine und Füße stolpern wird. Zudem passen weniger Sitze in eine Reihe als bei einer Querbestuhlung, aber möglicherweise geht die Strategie hier ja am Ende doch auf.
Foto: Alstoms Urbanliner für Berlin (links) und die Hydrogen Tram von Hyundai Rotem haben Ähnlichkeiten im Innenraum. Beide eint das ansprechende Lichtband. Autor: Christian Linow
Anderswo hat sich das Facelifting des Designs längst gelohnt. Das mittig angeordnete breite Lichtband ist in die Decke elegant integriert und verschmilzt so zu einem Teil des gesamten Dachhimmels. Mit etwas Vergleichbarem beeindruckt übrigens der Fahrzeughersteller Hyundai Rotem, der gleichfalls seine „Hydrogen Tram“ auf der InnoTrans stolz demonstrierte. Ab 2027 soll die wasserstoffbetriebene Straßenbahn im neuen oberleitungsfreien Netz der südkoreanischen Millionenmetropole Ulsan zum Einsatz kommen.
Foto: Bei Probefahrten auf der M10 wurden Bremswegverlängerungen festgestellt. Autor: Christian Linow
Resümierend bekommt Berlin mit dem Urbanliner die zweite Generation eines alltagserprobten Fahrzeugtyps, der alldieweil Anfang des Jahres dennoch in die Schlagzeilen geriet. Bei Bremstests auf der Neubaustrecke zur Turmstraße waren die erforderlichen Mindestanforderungen nicht eingehalten worden, woraufhin die Technische Aufsichtsbehörde die vorübergehende Abschaltung der Schienenschmieranlagen an den Gleisbögen im gesamten Straßenbahnnetz verfügt haben soll. Die Folge sind zahlreiche Langsamfahrstellen, um dem erhöhten Verschleiß entgegenzuwirken. Ein Vertreter von Alstom gab sich BahnInfo gegenüber diesbezüglich auf der Messe eher zurückhaltend: „Es wird eine Änderung beim Schmiermittel geben.“
Zumindest scheint das Thema nach wie vor akut zu sein, womit man gespannt abwarten darf, ob von der Problematik rund um die Abnutzung und die Konditionierung der Schienen auch der Urbanliner betroffen sein wird. Generell weniger Verschleiß an der Fahrbahn, der von Niederflurfahrzeugen im Allgemeinen ausgeht, erteilte der Alstom-Sprecher auf der InnoTrans unterdessen eine Absage. Daran ändern bedauerlicherweise auch die modifizierten Fahrwerke nichts, die man aus Angst vor Werksspionage auf dem Messegelände verblendete. Zurück bleiben ergo gemischte Gefühle, bei denen jedoch die Vorfreude auf die ersten Einsatztage dominiert.
Foto: Die Sitze des Urbanliners sind mittels Dreikant einfach zu demontieren. Die davorgesetzte Kunststoffverblendung sieht nicht besonders langlebig und stabil aus. Anders als es hoffentlich die Fahrwerke sind, die Alstom aus Sorge vor Industriespionage während der Messetage verstecken ließ. Autor: Christian Linow
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