- am 09.09.2023
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Nach über 60 Jahren hat die Turmstraße wieder eine Straßenbahn

Bis zum 2. Mai 1960 klingelte die Linie 2 in der Turmstraße, ehe letztere spätestens mit der Einstellung der 25 am 1. September 1961 straßenbahnfrei wurde. Über sechs Jahrzehnte sollte es am Ende dauern, bis sowohl die deutsch-deutsche als auch die verkehrspolitische Teilung Berlins hier überwunden sein würden.
Seit heute, dem 9. September, ist die Turmstraße nun wieder angeschlossen an das Tramnetz und damit nach Jahrzehnten von Diskussion und Planung auf Schienen verbunden mit dem Hauptbahnhof. Acht Minuten soll die M10 für die 2,2 Kilometer lange Neubaustrecke benötigen, womit sie zwischen dem Lehrter Bahnhof und dem U-Bahnhof Turmstraße dann eine Minute schneller unterwegs sein wird als die bisherige Buslinie 245. Der 245er fährt zukünftig an der Invalidenstraße geradeaus weiter auf der Alt-Moabit in die Rahel-Hirsch-Straße, um an der neu eingerichteten Haltestelle am Washingtonplatz auf der Südseite des Hauptbahnhofes zu halten.
Seit den 1990er-Jahren wurde immer wieder heftig über eine Straßenbahn nach Moabit gestritten - vor allem als Alternative zur U5. So warf beispielsweise Michael Cramer als damaliger verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Sommer 1994 dem Senat sogar die bewusste Täuschung von Öffentlichkeit und Parlament vor. Cramer zufolge wurde eine Straßenbahn schlecht und die so genannte Kanzler-U-Bahn schöngerechnet.
Knapp 30 Jahre später fährt nun beides. Die U5 vom Alexanderplatz und die Straßenbahn von der Turmstraße zum Hauptbahnhof. „Seit heute kann man auch auf den Schienen zu den Schienen fahren“, verkündet Verkehrssenatorin Manja Schreiner in ihrer Eröffnungsrede stolz und verspricht: „Wir wollen aber nicht dauerhaft an der Turmstraße enden. Zum Ende der Legislatur streben wir die Einleitung des Planfeststellungsverfahrens an.“ Gemeint ist damit die Fortsetzung der Straßenbahn zur Jungfernheide, die nicht das einzige Tramprojekt bleiben soll. Ebenfalls wolle man noch innerhalb dieser Amtszeit für Mahlsdorf die Genehmigungsplanung einreichen.
Zu weiteren Ausbauvorhaben der Straßenbahn wie beispielsweise von Johannisthal in die Gropiusstadt hält sich die Christdemokratin unterdessen bedeckt. Dennoch - und das betont Manja Schreiner - gebe es keinen Straßenbahnplanungsstopp, wie immer wieder von einigen oppositionellen Kräften behauptet.
Es besteht also Hoffnung, dass das Netz weiter wächst. Wenn auch sehr schleppend, oder wie Tilo Schütz vom Berliner BUND spitzzüngig bilanziert: „Alle 10 Jahre eine Eröffnung ist schon mal gut.“ Und das, obwohl es am Tempo an sich nicht unbedingt liegt, wenn dann endlich gebaut wird. Selbst bei den Kosten wurde der Rahmen gehalten. „In zwei Jahren sind 33 Millionen Euro ausgegeben worden. Ich finde, das geht doch“, jubelte Franziska Giffey, Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe und zugleich Aufsichtsratsvorsitzende der BVG, in ihrer Eröffnungsrede.
Einig war sie sich mit Verkehrssenatorin Manja Schreiner in Sachen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, wo beide allerdings offensichtlich ihren Schwerpunkt vor allem bei der U-Bahn sehen, wie sie beim Festakt hervorhoben. Die U7 zur Heerstraße, zum BER oder auch die U8 wurden benannt. Energisch und voller Elan skandierte Giffey: „Wir meinen das ernst und machen das jetzt auch!“
Dr. Rolf Erfurt, Vorstand Betrieb der BVG, ist jedenfalls glücklich und erleichtert, dass in Moabit die Straßenbahn rollt, erst recht in Zeiten des Fahrermangels: „Eine Kapazität von fünf Bussen fährt jetzt hier!“ Wenngleich bei der Premiere auch etwas langsam, weil sich die Ampelschaltungen erst einspielen müssen und der Zug vor fast jeder Ampel stoppte. Jens Wieseke, Pressesprecher des Fahrgastverbands IGEB nimmt es mit Humor: „Auch diese Straßenbahnbahnstrecke bringt Momente der Ruhe und Kontemplation in die hektische Großstadt.“
Weniger lustig findet Wieseke, dass die im Planfeststellungsbeschluss versprochene Querung für zu Fuß Gehende und Radfahrende an der Thusnelda-Allee nicht gebaut wurde und vor 2028 nicht kommen soll. Bahninfo berichtete. Er und viele andere Interessenvertreter drängen auf eine schnelle Lösung. „Diese Lösung wird man dort an Ort und Stelle jetzt nicht finden. Aber im Zuge der Verlängerung zur Jungfernheide wird das kommen,“ sagt Manja Schreiner.
Für Tilo Schütz vom BUND ist das nicht hinnehmbar: „Wir prüfen bereits eine Klage!“ Es geht also weiter an der Turmstraße; so oder so.

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