- am 18.07.2018
- auf der Aktuellseite Berlin-Brandenburg
- in der Kategorie S-Bahn
Qualitätsoffensive S-Bahn PLUS - die Nachwehen der Mehdorn-Ära
Bei der Berliner S-Bahn läuft es nicht rund - ob Signal-, Weichen- und Fahrzeugstörungen oder Polizei- und Notarzteinsätze, die Kunden der S-Bahn sind Kumme gewohnt. Und so ist es schon eine Ironie des Schicksals, dass eine solche Störung für das verspätete Eintreffen beim Pressetermin sorgte, bei dem die Bahn wieder einmal erklärt, wie alles besser klappen soll. Insgesamt 180 Maßnahmen sollen dafür sorgen und es besteht tatsächlich die Hoffnung, dass es dieses Mal klappt, denn eine mehrfach gestellte Frage während der Pressekonferenz war: Warum erst jetzt und nicht schon vor 10 Jahren? Alexander Kaczmarek, Konzernbevollmächtigter für Berlin, antwortete darauf mit einer Parabel: "Schon die alten Römer hatten das Werkzeug für den Bau der Dampfmaschine, aber erst James Watt erfand sie über ein Jahrtausend später.", oder anders ausgedrückt: Die Mühlen eines großen Konzerns mahlen langsam, aber jetzt ist es so weit.
Doch worum geht es eigentlich? Genau genommen geht es darum, die Prozesse wieder alltagstauglich zu gestalten und die Ära Mehdorn mit ihren tiefen Einschnitten abzuschütteln. Es geht um vorbeugende Instandhaltung, statt abzuwarten bis ein Teil defekt ist und es geht auch darum, dass man gemeinsam, statt nebeneinander arbeitet - also endlich die Vorteile des integrierten Konzerns nutzt.
DB Netz will die stark belasteten Weichen auf der Stadtbahn nun monatlich (statt alle 2 Monate laut Regelwerk) prüfen und neu einstellen. Um Ausfällen der Zuglenkung vorzubeugen, wird die Redundanz der Stromversorgung verbessert und durch neue Kabel die Datenübertragsungsrate erhöht. Probleme bereiten auch die Kabel der ersten elektronischen Stellwerke, die in den neunziger und vor allem nuller Jahren verlegt wurden. Durch mangelhafte Isolierung kommt es zu Kurzschlüssen durch Feuchtigkeitseintritt, Beschädigungen oder Nagetieranbiss. Diese Kabel werden nun nach und nach durch neue "bissfeste" Kabel ersetzt. Zudem sollen neue Lagerräume entlang der Ring- und Stadtbahn dafür sorgen, dass sich die Anfuhrzeit von Ersatzteilen verkürzt und so die Störungsdauer verringern lässt. Durch eine Schnittstelle sollen die 14 ESTW der S-Bahn besser vernetzt werden, wodurch Störungen schneller zu ermitteln sind.
Auch DB Energie sitzt mit am Tisch, denn die Energieversorung ist der wachsenden Stadt nicht gewachsen. Bis zu 111 Viertelzüge sollen 2023 in der Hauptverkehrszeit zusätzlich untwerwegs sein. Insgesamt 30 zusätzliche Gleichrichterunterwerke sollen hierfür installiert werden - primär (22 davon) in der inneneren Stadt. Aber auch auf den Außenstrecken wie nach Bernau, Birkenwerder und Königs Wusterhausen ist die Stromversorgung bereits heute unterdimensioniert und sorgt zum Beispiel dafür, dass in Zepernick kreuzende Züge nicht zeitgleich anfahren dürfen.
DB Station uns Service will sich als dritter Partner vor allem um das optische Erscheinungsbild der Stationen und eine Verbesserung der Fahrgastinformation kümmern. Die im S-Bahnnetz völlig deplatzierten dynamischen Schriftanzeiger, die für Halte mit wenigen Zugfahrten entwickelt wurden, sollen durch die üblichen blauen Zielanzeiger ersetzt werden. Noch im Jahr 2018 betrifft dies die Halte in Rahnsdorf, Wilhelmshagen, Fredersdorf, Teltow-Stadt und Zepernick. Eventuell könnte es in diesem Jahr auch noch in Wildau klappen.
Neue Sperren am Bahnsteigende werden zunächst am Ostbahnhof getestet. Hier gibt es aktuell rund 100 Störungen im Jahr durch unbefugte Personen im Gleis. Ist der Test erfolgreich, werden weitere Halte folgen. Überarbeitet wird auch die Taubenvergrämung in Schöneberg und Frankfurter Allee, sowie die Reinigungsintensität der Stationen. Unter anderem in Frankfurter Allee, Westkreuz, Tempelhof, Wedding und Charlottenburg sollen die Zu- bzw. Übergänge verschönert werden, um so auch dem Vandalismus vorzubeugen, wobei allein Charlottenburg 1,3 der vorgesehenen 5 Millionen Euro verschlingt. Bereits abgeschlossen sind die Maßnahmen an der Bornholmer und Warschauer Straße. In Neukölln soll zusätzlich zur Verschönerung auch die lang versprochene Videoüberwachung ausgebaut werden. Weitere Stationen sind in der Planung, doch auch im Bereich der Kameratechnik stoßen die Produktions- und Installateur-Kapazitäten an ihre Grenzen.
Natürlich will auch die S-Bahn selbst weiter an sich arbeiten. Nachdem ein Türsteuerungsrelais als Verursacher vieler Türstörungen ausgemacht wurde, soll das Relais nun vorsorglich bei allen Zügen der Baureihe 481/482 getauscht werden - also an insgesamt 6.000 Türen. Maßnahmen aus dem Sanierungsprogramm dieser Baureihe sollen zur Vermeidung hitzebedingter Ausfälle vorgezogen werden. Zur Beschleunigung des Fahrgastwechsels werden die Türen ab dem 23. Juli testweise zwischen Ostkreuz und Hauptbahnhof zentral geöffnet. Eine entsprechende Warnansage "Achtung, Türen können automatisch öffnen", wird bereits am Alexanderplatz nach der Stationsansage abgespielt. Der andere große angedachte Test, das Durchfahren der Halte Hohenzollerndamm und Halensee für einzelne Züge, wurde nach der intensiven Kritik hingegen abgesagt.
Unabhänging von den nun vorgestellten Maßnahmen, läuft das Projekt i2030, das sich mit dem Ausbau der Infrastruktur beschäftigt. Diese Vereinbarung zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg und der Bahn ist laut Kaczmarek deutschlandweit einmalig. Derzeit laufe die Variantenuntersuchung, so dass im nächsten Jahr eventuell schon erste konkretere Aussagen, beispielsweise zur Anbindung von Falkensee oder der Stammbahn getroffen werden können. Im Vorgriff errechnete DB Netz Aufwand und Kosten für die Beseitigung aller Eingleisigkeiten im Netz der Berliner S-Bahn und kam in verschiedenen Ausbauvarianten auf einen Finanzbedarf von 0,5 bis 1 Millarden Euro. An einer Stelle wurde der Irsinn der langen Planungslaufzeiten und politischen Entscheidungsverschleppung besonders deutlich: Der Zustand der Dresdener Bahn ist bereits in Beton gegossen. Lediglich im letzten Planfeststellungsabschnitt auf Brandenburger Gebiet kann derzeit aufgrund des laufenden Verfahrens noch nachgesteuert werden.
Obwohl kein anderes S-Bahn-System in Deutschland einen so hohen Anteil an dicht befahrenen eingleisigen Strecke hat, liegt die Pünktlichkeit (zusammen mit Hamburg) deutlich über den Mischsystemen in München, Stuttgart, Frankfurt und Köln. Durch die eigene Infrastruktur sind allerdings auch die Anforderungen deutlich höher.
Alles in allem klingen die vorgestellten Maßnahmen durchaus vielversprechend, um tatsächlich kurzfristig Verbesserungen zu ermöglichen - vor allem, weil nun auch wieder vorsorgende Instandhaltung betrieben werden soll. Doch nicht nur das Bevölkerungswachstum sorgt dafür, dass dringend auch in die Infrastrukturkapazität investiert werden muss, um die Nachkriegsprovisorien durch eine dauerhaft leistungsfähige Infrastruktur zu ersetzen.
(Foto: Ein Zug der Baureihe 481 fährt in den Hbf ein - im Vorgergrund die Baustelle der S21. ©Tom Gerlich)
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