- am 19.11.2009
- auf der Aktuellseite München
- in der Kategorie S-Bahn
Münchens Gretchenfrage: Wie entlastet man die S-Bahn-Stammstrecke?
Die Vertreter der Landeshauptstadt München und des Freistaats Bayern haben sich in dieser Frage klar festgelegt: München Oberbürgermeitser Christian Ude (SPD) und Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) wollen einen zweiten S-Bahn-Tunnel unter der Münchener Innenstadt - anstatt einer Entlastungstrasse über den sogenannten Südring.
Nach einer (nach 2001 bereits erneuten) vergleichenden Untersuchung schneidet der 2. S-Bahn-Tunnel besser ab und erreicht als einzige Alternative einen positiven (und damit förderfähigen) Kosten-Nutzen-Faktor von 1,15. Der Südring käme nur auf einen Wert von 0,8 und fiele somit durch die Standardisierte Bewertung durch.
Dennoch: Berauschend ist der Wert des Tunnels keineswegs. Den hohen Baukosten für die 7,3 km lange Strecke zwischen Laim und Ostbahnhof - Leuchtenbergring steht im Prinzip keine verbesserte Erschließung des Stadtgebiets gegenüber. Nur zwei Bahnhöfe sollen im zweiten S-Bahn-Tunnel als Umsteigepunkte entstehen: Marienplatz (Marienhof) und Hauptbahnhof. Aus Kostengründen wurden weitere Haltestellen - beispielsweise in Haidhausen - im Laufe der Planungen eingespart. Und auch an den vorgesehenen Stationen sind weite Wege notwendig: Die Tiefenlage reicht bis zu 40 Meter unter die Erde.
Der positive Kosten-Nutzen-Faktor konnte so nur durch ein neues Betriebskonzept erreicht werden. Dieses sieht als Neuerung einen 15/30-Minuten-Takt mit zusätzlichen Express-S-Bahnen vor. Voraussetzung hierfür ist ein Ausbau der Abschnitte Pasing – Buchenau und München Ost – Markt Schwaben. Für eine schnelle Flughafenbindung gen Westen auch auf der S 1-Strecke.
Eine wirklich optimale Erschließung erreicht nach wie vor nur die bestehende Stammstrecke mit ihren fünf unterirdischen Stationen. Dieser Tunnel wurde 1972 für 18 Fahrten je Stunde und Richtung und rund 250.000 Fahrgäste eröffnet. Heute wird er von rund 800.000 Fahrgästen werktäglich genutzt. Mit bis zu 30 Fahrten je Stunde und Richtung in der Hauptverkehrszeit und einer daraus resultierenden Zugfolgezeit von zwei Minuten gilt die Münchner Stammstrecke als meistbefahrene Eisenbahnstrecke Europas. Zugtechnisch ist die Kapazität damit ausgereizt; vor allem aber macht sich der Kapazitätsengpass im Störungsfall unangenehm bis in das gesamte Netz hinaus bemerkbar.
Zur Beantwortung der Entlastungsfrage wurden in den letzten 15 Jahren zahlreiche Untersuchungen durchgeführt. 1995/96 wurde Dorsch Consult von der Landeshauptstadt München mit der Untersuchung „S-Bahn Südumfahrung München” beauftragt. Der Freistaat Bayern, die Landeshauptstadt München und die MVV GmbH beauftragten dann 2001 die Firmen Obermeyer und DE Consult mit einer „Vergleichenden Untersuchung zum Ausbau S-Bahn-Südring/2. S-Bahn-Tunnel”.
Allen Untersuchungen gemein war das unterlegene Ergebnis der Südring-Variante. Der Zwang zum Umsteigen
an der Poccistrasse, am Kolumbusplatz und am Heimeranplatz, eine relativ geringe Nachfrage auf dem Südring mit einer entsprechend relativ bescheidenen Entlastung der bestehenden Stammstrecke und Eigentumseingriffe machten den Südring aus planerischer Sicht eher unattraktiv.
Auch die aktuelle Untersuchung zwischen dem 2. S-Bahn-Tunnel und dem Eisenbahn-Südring bestätigen wieder die Vorteile einer innenstadtnahen Tunnellösung.
Demach erreicht ein S-Bahn-Tunnel mit knapp 50.000 Fahrgästen pro Tag größere Umsteigeeffekte vom Auto auf die Schiene als ein S-Bahn-Südring (zirka 39.000 Fahrgäste pro Tag). Die Entlastung der bestehenden Stammstrecke wäre wirksamer als durch einen S-Bahn-Südring gewährleistet.
Und mit rund 1,3 Milliarden Euro ermittelten Kosten für Baumaßnahmen sowie Planungs- und Genehmigungskosten wäre der S-Bahn-Südring um vergleichsweise geringe 200 Millionen Euro günstiger als der 2. S-Bahn-Tunnel. Dieser soll nach Angaben des Verkehrsministeriums 1,6 Milliarden Euro kosten, allerdings steht in einem von den Grünen beantragten Gutachten auch ein Wert von 2,5 Milliarden im Raum.
Die Tunnelgegener ficht das nicht an: Sie möchten sich mit den hohen prognostizierten Kosten für den Südring-Ausbau jedenfalls nicht zufrieden geben. Kritik entündet sich beispielsweise an der separaten Güterverkehrsführung zwischen Heimeranplatz und Südbahnhof anstelle einer östlich davon ohnehin notwendigen Mitnutzung der Personenverkehrsgleise. Etliche der Kostensteigerungen würden zudem durch die Aussage der Deutschen Bahn ausgelöst, dass keinerlei Änderungen an den heute nur noch schwach genutzten Güterverkehrsanlagen möglich seien. Vor allem aber werden die auch im "Ohnefall" anfallenden Kosten für den Bau des Schallschutzes, die Gleissanierung des Südrings und der Brückenbauwerke auch in den Baukosten des "Mitfalls" für den Südring berücksichtigt. Insgesamt würden die Südring-Kosten so auf annähernd 100 Mio. € je Streckenkilometer hinaufgetrieben, einem Wert, der üblicherweise bei U-Bahn-Bauten erreicht wird.
Unabhängig hiervon ist die Frage zu stellen, inwieweit ein Südring wirklich den Verkehrsbedürfnissen der Region genügt. Die Strecke verläuft zwar durch dichtbesiedeltes Gebiet und gerade das Fehlen von Tangentialverbindungen gilt als einer der Nachteile des extrem monozentrischen Münchner ÖPNV-Systems. Ganz wesentliche Quell-Ziel-Beziehungen verlaufen in München aber über die West-Nord-Achse. Der Südring wäre hiervon weiter entfernt als eine Innenstadtstrecke. Somit würden Fahrgäste beispielsweise an der Poccistraße auf die hier verkehrende U3/U6 umsteigen müssen, die auf dieser Relation auch sehr gut ausgelastet ist. Der große "Fahrgastumschlag" bei der U-Bahn - der entsprechende Kapazitäten freisetzt - findet auf den Innenstadtbahnhöfen statt.
Nach dem Willen der Politik sollen die Planungen für den 2. S-Bahn-Tunnel nun mit Hochdruck weitergeführt werden. Als Zwangspunkte stehen nämlich das Ende der Finanzierungsmöglichkeiten über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) sowie die Olympischen Winterspiele 2018 im Raum.
Planungstechnisch ist man bereits relativ weit. Für den Abschnitt zwischen Stachus und Isartor liegt der Planfeststellungsbeschluss schon seit September vor. Der Abschnitt 1 (Laim bis Karlsplatz) befindet sich im Planfeststellungsverfahren und für den 3. Abschnitt (Isarufer bis Ostbahnhof) kann die Planfeststellung in kurzer Zeit eingeleitet werden. Im oberirdisch verlaufenden Teilbereich bei Laim musste wegen Lärmschutzmaßnahmen umgeplant werden. Problematisch ist vor allem der Abschnitt vom Isartor bis zum Ostbahnhof. Hier gibt es nun bereits die dritte Umplanung „Haidhausen 3“. Optimistisch kann hier von einer Planfeststellung bis 2011 ausgegeangen werden.
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