- am 29.09.2009
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Fahrgastsprechtag S-Bahn
Am 24.09.2009 fand der Fahrgastsprechtag S-Bahn im Rahmen der 26. Schienenverkehrs-Wochen in den Räumen der Deutschen Bahn an der Caroline-Michaelis-Straße statt. Den Fragen der Fahrgäste und des einladenden Fahrgastverbandes IGEB stellte sich der erst seit dem 01.07.2009 im Amt stehende Sprecher der Geschäftsführung Peter Buchner. Ihm und der ebenfalls neuen Geschäftsführung obliegt seitdem die schwere Aufgabe, die S-Bahn Berlin wieder aus ihrer Krise zu holen, in die sie durch erhebliche Fahrzeugmängel und Missmanagement geraten ist. Der traditionell am besten besuchte Fahrgastsprechtag, gezählt wurden dieses Jahr mehr als 150 Besucher, fand aufgrund der derzeitigen Krise auch reges Interesse durch Funk und Fernsehen.
Die S-Bahn-Krise - Ein kleiner Rückblick auf die Ereignisse diesen Jahres
"Ein schwarzes Jahr für die S-Bahn war das bisherige Jahr 2009." Mit dieser Einschätzung steht der noch relativ neue Sprecher der Geschäftsführung Peter Buchner sicher nicht alleine da. Schon der Winter brachte erste Unannehmlichkeiten, als die Fahrschalter durch Frischschnee verklemmten und Züge ausfielen. Doch schon nach kurzer Zeit lief wieder alles seinen gewohnten Gang und der misslungene Start ins neue Jahr war schnell vergessen - bis zum 1. Mai. An diesem Tag entgleiste ein Zug der Baureihe (BR) 481 bei der Einfahrt in den S-Bahnhof Kaulsdorf. Die Ursache wurde schnell festgestellt: eines Radbruch. Um weiteren Radbrüchen vorzubeugen, hatte sich die S-Bahn in einer Selbstverpflichtung auferlegt, die Räder der BR 481 alle 7 Tage zu untersuchen und darüber hinaus alle führenden Achsen mit mehr als 650.000 km Laufleistung auszutauschen. Normalerweise erfolgt ein solcher Austausch erst nach 1,2 Millionen km. Dieser Selbstverpflichtung kam die S-Bahn allerdings nicht nach und so legte das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) zum 27.06. die ersten 50 Viertelzüge still, deren Achsen sogar teilweise mehr als 1,2 Millionen km unterwegs waren, nachdem hierfür Fristen großzügig - so zumindest der Eindruck - verlängert wurden. Bereits drei Tage später mussten weitere 150 Viertelzüge aus dem Verkehr gezogen werden, womit ein Drittel des Wagenparks nicht mehr zur Verfügung stand. Erste umfangreiche Einschränkungen im Fahrplan waren die Folge. Währenddessen wurde die S-Bahnführung um Tobias Heinemann nach einem freiwilligen Rücktritt seinen Aufgaben entbunden und eine neue um den erfahrenden Eisenbahner Peter Buchner eingeführt. Dieser Rücktritt hat allerdings einen herben Beigeschmack, da die neuen Positionen der ehemaligen S-Bahnführung eher einer Beförderung gleich kamen.
Für den ersten tragischen Höhepunkt der größten S-Bahn-Krise der letzten Jahrzehnte sorgte schließlich ein neuer Bescheid des EBA. Nachdem die Räder aller führenden Achsen der BR 481 mit einer Laufleistung über 650.000 km bis zum 10. August ausgetauscht werden müssen und die betreffenden Fahrzeuge nicht mehr eingesetzt werden durften, musste zum 20.07. ein Notfahrplan eingerichtet werden, der massive Einschränkungen mit sich brachte, verbunden mit der Betriebseinstellung auf diversen Strecken, darunter der Berliner Stadtbahn. Die Tatsache, dass zu dieser Zeit Schulferien waren und umfangreiche Ergänzungs- und Ersatzverkehre im Regionalverkehr und bei den Berliner Verkehrsbetrieben BVG eingeführt wurden, bewahrten Berlin vor einem Verkehrskollaps.
Zwei Wochen später, am 03.08., konnte das Betriebsprogramm erweitert und Strecken wieder in Betrieb genommen werden. Von nun an, ging es etwa zweiwöchentlich schrittweise wieder bergauf. Der Verkehr während der Leichtathletik-WM lief überwiegend reibungslos und der Fahrplanwechsel am 31.08., bei dem die Südkurve am Ostkreuz planmäßig außer Betrieb genommen und ein neues Liniennetz eingeführt wurde, brachte weitere Verbesserungen, wenngleich das volle Betriebsprogramm erst wieder zum 14.12. aufgenommen werden kann, da die Auswechslung der Räder noch bis dahin andauern wird.
Die Freude an den stetigen Verbesserungen hielt jedoch nur kurz. Bei einer turnusmäßigen Überprüfung der S-Bahn-Flotte wurde am 07.09. ein neuer sicherheitsrelevanter Vorfall festgestellt, wonach bei einem Großteil der Züge unverzüglich die Bremszylinder ausgetauscht werden müssen. Dies führte dazu, dass zum Betriebsbeginn am 08.09. nur 163 Viertelzüge - etwa ein Viertel der Flotte - zur Verfügung stand und erneut ein Notfahrplan in Kraft treten musste, wiederum verbunden mit der Betriebseinstellung auf der Stadtbahn und auf anderen Strecken. Glücklicherweise lassen sich die Bremszylinder schneller austauschen, so dass bereits am 28.09. das Betriebsprogramm wieder umfangreich ausgeweitet werden konnte und noch immer der 14.12. als Termin zur vollen Betriebsaufnahme anvisiert wird.
"Moderne Züge brauchen weniger Instandsetzung", so die landläufige Meinung, die zu einem deutlichen Abbau von Arbeitsplätzen in den Werkstätten und der Schließung des Betriebswerks Friedrichsfelde führten. Mangelhafte Wartung und zahlreiche Fristverlängerungen führten dieses Jahr nun zum Gegenteil, wie die Krise mehr als deutlich zeigte. Doch neben der neuesten BR 481 sind auch die beiden anderen Baureihen 480 und 485 aufgrund ihrer "exotischen Technik" (BR 480) bzw. den Mängeln in der Fahrzeugkonstruktion und den Rissen im Fahrzeugboden (BR 485) nicht unproblematisch und verstärkten die Krise noch zusätzlich.
Da auch im Normalfall die Lage im Fahrzeugpark angespannt ist, wird die Reaktivierung bereits abgestellter Wagen geprüft. Inwiefern dies aber überhaupt möglich ist, ist sehr fraglich, da viele in einem sehr schlechten Zustand sind und zum Teil auch schon als Ersatzteilspender herhalten mussten.
Entschädigung für Stammkunden
Da zahlreiche S-Bahnzüge bisher ausfielen und auf diversen Strecken der Betrieb für mehrere Wochen eingestellt wurde und zum Teil immer noch eingestellt ist, wurden schon frühzeitig Entschädigungen für die Stammkunden, dazu zählen Abonnenten, Firmenticketkunden und Jahreskartenbesitzer, angekündigt. Sie erhalten nun für den Monat Dezember Freifahrt, vorausgesetzt sie haben einen für den Dezember gültigen Wertabschnitt und ihre Fahrkarte beinhaltet mindestens die Tarifbereiche Berlin AB, ABC oder BC. Diese Regelung gilt unabhängig davon, bei welchem Unternehmen das Ticket erworben wurde und gilt auch für noch bis einschließlich November neu abgeschlossene Verträge, sofern sie nicht vorfristig wieder gekündigt werden. Studenten, die zum Kauf eines Studententickets verpflichtet sind, gehen vorerst leer aus, ebenso wie Kunden, die ihre Karten monatlich am Automaten oder Schalter erwerben. Momentan laufen Gespräche zwischen der Deutschen Bahn, der S-Bahn, dem Berliner Senat und dem Fahrgastverband IGEB zu möglichen Entschädigungsleistungen auch für diese Kundenkreise.
Die Erstattung erfolgt auf zwei Wegen. Bei Abonnenten, bei denen monatlich das Fahrgeld abgebucht wird, erfolgt keine Abbuchung im Dezember. Jahreskartenbesitzer, die ihre Karte bereits vollständig im Voraus gezahlt haben, erhalten ab 8. Oktober gegen Vorlage des Dezember-Wertabschnitts den entsprechenden Fahrgeldanteil in bar ausgezahlt. Dies erfolgt jedoch nur an Verkaufsstellen der S-Bahn und BVG.
Infrastruktur
Derzeit gibt es keine mängelbedingten Langsamfahrstellen im Netz, was allerdings nicht bedeutet, dass es keine Stellen mit schlechtem Oberbau oder maroden Brücken gibt, auf denen langsam gefahren wird.
Um die Schieneninfrastruktur weiter zu verbessern, wurde und wird auch während der anhaltenden Krise gebaut. Das schränkt zwar das Fahrtenangebot noch mehr ein, würde bei Ausbleiben der Maßnahmen aber zu dauerhaften Schädigungen führen, die noch tragischer wären. Bei der Fernbahn ließen sich hingegen Bauarbeiten verschieben, womit baubedingte Unterbrechungen im Ergänzungsverkehr vermieden werden konnten.
Auch für ihre Bahnhöfe drängt die S-Bahn weiterhin auf Infrastrukturverbesserungen. Darunter fallen auch weitere zweite Ausgänge. Ebenso wünscht sie sich den Aufbau weiterer dynamischer Anzeiger vor allem an Gleisen mit mehreren Fahrzielen, um die Fahrgastinformation wieder verbessern zu können, was anlässlich der Blechschilder an einigen Bahnhöfen auch mehr als nötig ist. Allerdings läuft das Betriebsinformationssystem für die dynamischen Anzeiger weiterhin nicht rund, was auch an laufenden Hardware- und Softwarearbeiten liegt.
Die Hauptwerkstatt Schöneweide, die schwere Reparaturen und Modernisierungen an den S-Bahnfahrzeugen durchführen kann und trotzdem zur Disposition steht, wird vorerst weiterbetrieben und muss sich zusammen mit dem gesamten Werkstattbereich im nächsten Jahr einer generellen Prüfung stellen. Eine Entscheidung gegen Schöneweide gibt es derzeit nicht und es sei zu hoffen, dass diese auch nie fallen wird.
Sonstiges
- Neben den Kunden sind auch die Kioskbesitzer die Leidtragenden an der S-Bahn-Krise, vor allem wenn ihre Bahnhöfe nicht angefahren werden. Daher befindet sich die DB Station & Service, als Vermieter, derzeit in Gesprächen, wie die Kioskbesitzer entschädigt werden können.
- Bis jetzt sind schon Leistungen zu insgesamt 20 Millionen Euro ausgefallen, für die der Aufgabenträger, das Land Berlin, nicht aufkommen muss. Dazu werden mit Sicherheit noch Maluszahlungen und damit weitere Einbußen für die S-Bahn Berlin kommen.
- Auch wenn die S-Bahn eine Eisenbahn ist und Dieselzüge auf den S-Bahngleisen prinzipiell fahren könnten, ist dies weder betrieblich umsetzbar noch durch das Eisenbahn-Bundesamt genehmigungsfähig. Vor allem die Zugsicherung, die höheren Bahnsteige und der nicht dem Fernverkehr entsprechende S-Bahnfunk sprechen dagegen.
- Da der Austausch der Radsätze und Bremszylinder momentan Vorrang hat, werden weitere Fahrzeugprobleme, wie die oft auftretenden Türstörungen zum Beispiel, erst ursächlich behoben, wenn hierfür wieder Kapazitäten vorhanden sind, also frühestens im nächsten Jahr.
- Die angespannte Lage im Fahrzeugpark führt auch dazu, dass selbst für die von der S-Bahn gewünschte S21 und für die Verlängerung nach Falkensee keine Fahrzeuge zur Verfügung ständen.
- Um das Verklemmen der Fahrschalter durch Frischschnee künftig zu vermeiden sind Gummieinlagen in den Fahrschaltern vorgesehen. Allerdings sind diese noch nicht abgenommen, so dass sie für den kommenden Winter nicht zur Verfügung stehen und die diesjährigen Probleme erneut auftreten könnten.
- Schon seit einiger Zeit ist die Baureihe 480 wieder für eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h zugelassen.
- Eine Echtzeitinformation im Internet, wie es sie für die Fern- und Regionalzüge der Deutschen Bahn schon seit längerem gibt, ist aufgrund der bei der S-Bahn verwendeten andersartigen Software derzeit nicht möglich.
- Für Updates der Software in Fahrkartenautomaten gibt es feste Versionswechseltermine, die einen gewissen Vorlauf benötigen. Daher dauert es auch immer einige Zeit, bis neue Fahrkartenangebote wie das Quer-durchs-Land-Ticket an diesen erhältlich sind.
- Auch wenn jedes Jahr aufs neue die Tatsache, dass an S-Bahn-Fahrkartenautomaten nur gleitende und keine festen Monatskarten erhältlich sind, bemängelt wird, scheint dies bei der S-Bahn immer noch nicht angekommen zu sein. Ganz im Gegenteil: es wurde sogar noch behauptet, dass dies bei der BVG auch so wäre, was natürlich nicht den Tatsachen entspricht.
- Die geplante neue Zugsicherung hat noch keine endgültige Zulassung. Diese steht auch im Zusammenhang mit dem noch nicht erfolgten Abschluss der Umstellung auf elektronische Stellwerke.
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